Walter Pieschl Einführung in die Texte Seit dem 1.4.1992 arbeitet an der Universität Hannover der im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung vom Bundesminsterium für Bildung und Wissenschaft und dem Niedersächsischen Kultusministerium für Bildung und Wissenschaft und dem Niedersächsischen Kultusministerium je zur Hälfte finanzierte dreijährige "Modellverslversuch Schulische Umweltbildung - Entwicklung schulbezogener integrativer Umweltbildungskonzepte im Bereich der Sekundarstufe I".
Bereits 1989 begannen die theoretischen Vorarbeiten zu diesem Modellversuch. In diesem Band werden Texte aus dieser Vorbereitungszeit zusammengestellt. Sie bilden bis heute weitgehend die Basis der theoretischen und praktischen Arbeit im Modellversuch. Ingesamt versuchen sie aufzuzeigen, wie eine psychoanalytisch und gesellschaftstheoretisch aufgeklärte Bildungstheorie kritisch und konstruktiv Umweltbildung anleiten kann. Sie können deshalb auch verstanden werden sowohl als Beitrag zur bildungstheoretischen Disskussion als auch als ein Theorientwurf für schulische Umweltbildungsprozesse. Die Texte sind fast alle in praktischen Kontexten entstanden. Es handelt sich vorwiegend um Thesenpapiere und Referate, die für Fachtagungen von Umwelterziehern, Ausbildern in der 2. Phase der Lehrerausbildung, vor allem aber für Lehrer geschrieben wurden. Die Resonanz bei den Zuhörern und deren häufig geäußerter Wunsch, nochmals nachlesen zu könnnen, was vorgetragen wurde, motiviert uns vor allem für diese Form von Veröffentlichung.
Geht man von der interessierten Nachfrage vor allem bei praktizierenden Pädagogen aus, so kann man auch aus der vertretenen Sachargumentation heraus einen Zusammenhang herstellen. Viele Lehrer leiden heute aus unterschiedlichen Gründen unter ihrer zunehmend schwerer werdenden Unterrichts- und Erziehungsverpflichtungen. Sie haben das Gefühl, so könnte es nicht weitergehen, und sie such nach neuen Formen des Lehrens und Lernens. Zu denken wäre hier z.B. an die umfangreichen Versuche, Projektarbeit, Freiarbeit, Wochenplanarbeit und Teamarbeit an den Schulen zu etablieren. In der konkreten Vortragssituation treffen nun die von den Autoren formulierten Ansprüche einer anspruchsvollen Umwelterziehung auf den Veränderungswunsch der Lehrerinnen , ihre als defizitär erfahrene alltägliche Unterrichtspraxis zu verbessern. Dadurch, dass die Lehrerinnen sich mit den Bildungstheoretischen Implikationen der hier vertretenden Umwelterziehung als immer schon selbst postuliertem Bild einer ganzheitlichen Bildung und Erziehung identifizieren können und sie sich gleichzeitig auch in ihrem Berufs- und Lebensweltbezügen ernst und aufgenommen fühlen, wird Veränderungsmotiven freigesetzt. Ob diese Agumentation plausibel ist und ob ähnliche Wirkungen auch beim Lesen der Texte, sozusagen ohne das Erleben eines engagierten Referenten, möglich sind, können die Leserinnen selber feststellen.
Für eine erste Orientierung sollen die Fragestellungen und der Akzent der in diesem Buch vorgestellten Beiträge zur Umwelterziehung nun kurz umrissen und dies umweltdidaktische Diskussion eingeordnet werden. Es ist heute allgemeiner pädagogischer und politischer Konsens, dass die Bewältigung der Umweltkriese eine besondere lern- und Erziehungsanstrengung verlangt. Neben der schulpolitischen Verankerung der Umwelterziehung durch entsprechende Erlasse in den Bundesländern gibt es eine Reihe von engagierten didaktischen Konzepten zum schulischen Umweltunterricht. Hinter all den Bemühungen steht die Frage, wie die Differenz zwischen den realen, globalen und bestandsfährdenden Weltproblemen einerseits und der unterentwickelten Fähigkeit des Menschen, die Bedeutung und die Konsequenz des eigenen privaten und gesselschaftlichen Handelns voll zu erfassen, anderseits abgebaut werden kann. Schon 1979 forderdetrte der Club of Rome in seinem Lernbericht, dass der Mensch sich wieder in seiner Verarbeitungskapazität den realen Veränderungen in der Welt anpassen müsse. Er darf sich nicht mehr als Opfer von undurchschauten und undurchschaubaren Prozessen fühlen. Es ist überlebenswichtig, dass er neue Sinnbezüge entfaltet, um die moralisch/ ethnischen aber auch technisch/ naturwissenschaftlich und politischen Begrenzungen seiner Denk- und Erlebenssituation überwinden zu können. Sowohl die Begrenzungen als auch die Entdeckung neuer Sinnbezüge werden durch zwischenmenschliche Beziehungen gestiftet. Aus ihnen müssen die die Fähigkeiten zur Kooperation, zum Dialog, zur Kommunikation, zur Wechselseitigkeit und zum Einfühlungsvermögen hervorgehen. Umweltdidaktik als eine konkrete Übersetzung der allgemeinen Lernanforderungen für die Krisenbewältigung steht also in einem weiten Spannungsbogen, der von den persönlichen Erfahrungen des einzelnen, auch denjenigen in Lehr-Lern-Prozessen, reicht bis hin zu lokalen, nationalen und internationalen Veränderungsprozessen. Inhaltlicher Kern ist die Neudefinition und - Bearbeitung von Umweltproblemen. Sie übersteigt die fachorientierte Zugangsweise zu den Umweltproblemen bereits im Ansatz.
An die vorliegenden didaktischen Entwürfe lassen sich also auch kritische Rückfragen stellen:
Werden bzw. in welcher Weise werden
- lokalen und globale Problem berücksichtigt
- politische, soziale, ökonomische und ökologische Problem berücksichtigt
- Fächergrenzen außer Kraft gesetzt?
- persönliche Erfahrungen berücksichtigt
- interaktive Beziehungen gestiftet, die Kooperation, Dialog, Kommunikation, Wechselseitigkeit und Einfühlungsvermögen fordern und fördern?
- alternative (antizipatorische) Handlungsmöglichkeiten eröffnet?
Eine solch kritische Sichtung des gegenwärtigen Standes der didaktischen Diskussion nehmen die Autoren des Buches unter verschiedenen Akzentsetzungen in mehreren Beiträgen vor. Allerdings gehen sie dabei in spezifischer Weise über die die schon vorgetragene Weise heraus. Diese Spezifik der Argeumentation in allen Beiträgen soll kurz erläutert werden.
Die Autoren fragen danach, wie es denn eigentlich zu einer Entwicklung kommen konnte, die den Menschen so weit von seinen eigenen Handlungsprodukten entfernte, dass sie ihm heute quasi als fremdgesetzte, äußerte und lebensbedrohliche gegenüberstehen. Abgesehen von den ökonomischen und machtpolitischen Erklärungen dieses Dilemmas kann man und muss man, und dafür wird in diesem Buch argumentiert, auch nach den sich im Individuum abgespielten Prozessen bei der Entstehung, der Verabeitung und den Veränderungen des Umweltproblems fragenIn den letzten Jahren sind eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt worden, die deutlich machen, dass Kinder auf die globalen Gefährdungen, insbesondere auf die Umweltproblematik, mit tiefgreifenden Ängsten und Verunsicherungen reagieren. Die Umweltproblematik muss also nicht nur durch neue Beziehungsmuster neu bearbeitet werden, sondern sie bestimmt über die ausgelösten innerpsychischen Folgen bei den Kindern die Qualität und die Möglichkeitsbedingungen der auch pädagogisch/ erzieherischen Interaktion selber. Die Dialektik von Individuum und Gesellschaft muss also auch in der Umweltfrage, so könnte man thesenartig fourmulieren, bis in die Psychostrukturen von Kindern (und Erwachsenen) verfolgt werden. Erst so werden die Brücken, Lücken, Ängste und Blockierungen des Denkens und des Fühlens im Bereich der Wahrnehmung und der Handlungen im Problemfeld Umwelt verstehbar. Die psychostrukturellen Probleme bei Kindern und Jugendlichen, ihre Gegenwarts- und Zukunftsängste, wie sie sich in ihrer gefährdeten Lebenswelt im Rhytmus der ontogenischen Entwicklung auszubilden und verfestigen, sind keineswegs nur als die Voraussetzungen, die anthropologischen und sozialen Bedingungen von Lernprozessen zu betrachten. Sie sind vielmehr Ausdruck und konstruktiver Teil der Sache selber. In den Gefühlen der Menschen drückt sich der ideologisierte Machtanspruch ökonomisch motivierter Partialinteressen aus und stabilisierte sich gleichzeitig. Allerdings steckt in den Emotionen auch der Ansatz der Such nach neuen Lebensqualitäten. Die pädagogische Pointe dieser Überlegungen ist trival und weitreichend zugleich: Alles, was wir in pädagogischen Prozessen tun, um durch spezifische Interaktionsbeziehungen dem Kind und dem Jugendlichen eine angstfreie Aneignung seiner inneren Umwelt zu verhelfen, setzt sich bei diesen Möglichkeiten frei, sich auch wieder einfühlsam und nicht zerstörerisch mit der äußeren Umwelt auseinanderzusetzen.