Ästhetik im Konflikt
Editorial
Tim Bausch
Politik und Ästhetik
In jeder guten Redaktion gibt es trotz eines gemeinsamen Wertekanons unterschiedliche Interessen. Die Redaktion von W&F ist hier keine Ausnahme. Nur durch eine Pluralität an Meinungen kann es gelingen, das thematisch breite Spektrum der Friedensforschung und der Friedenspolitik möglichst adäquat abzudecken. Kulturwissenschaftliche Aspekte kommen in diesem Bereich jedoch eher am Rande vor. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Thema unserer Ausgabe 4-2019, »Ästhetik im Konflikt«, anfangs von Skepsis begleitet wurde. Würden sich auf unseren »Call for Papers« genügend Autor*innen finden, die das Heft mit ihren Gedanken bereichern? Und würde es jenen Autor*innen gelingen, den ästhetischen Raum hinsichtlich seiner politischen Implikationen ausreichend zu vermessen?
Presseschau
Jürgen Nieth
Türkei bombt IS zurück
Am 9. Oktober überschritt die türkische Armee zum dritten Mal seit 2016 die Grenze zu Syrien. „Ermöglicht hat dieses blutige Spektakel Donald Trump.″ Indem er seine Soldaten aus der Region abzog, ermutigte er „Erdogan zum Völkerrechtsbruch. Amerika schaut nun dabei zu, wie sich zwei seiner Bündnispartner bekriegen. Noch vor einem Jahr hatte Trump geschwärmt: »Die Kurden sind ein großartiges Volk. Sie kämpften und starben mit uns. Wir haben Zehntausende von ihnen im Kampf gegen ISIS verloren. Ich kann Ihnen sagen, dass ich das nicht vergesse«.″ (Livia Gerster in FAS 13.10.19, S. 8) An anderer Stelle heißt es bei Gerster: „Die syrischen Kurden hatten alles unternommen, um Erdogan keinen Anlass zur Intervention zu geben. Sie haben militärische Anlagen abgebaut, Bunker gesprengt und alle Bedingungen der Amerikaner erfüllt, um eine türkische Offensive abzuwenden.″ Verteidigungsanlagen, die sie jetzt bitter vermissen.
Gastkommentar
Jochen Hippler
Kaschmir
Die Situation im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs trägt alle Anzeichen einer Verhärtung der Krise und einer Verfestigung der dortigen Konflikte. In Indien wie in Pakistan weisen viele Beobachter*innen darauf hin, dass die weiter bestehende Einschränkung der Bürgerrechte und der Bewegungsfreiheit sowie die Blockade der Kommunikationsmittel nicht nur die wirtschaftliche Situation in Kaschmir schwer belasten. Sie führen auch dazu, dass große Teile der dortigen Bevölkerung die indische Regierung immer stärker als Feind wahrnehmen. Der schon lange schwelende Konflikt wird so massiv verschärft und immer schwerer lösbar.
Ästhetik im Konflikt
Christine Andrä & Berit Bliesemann de Guevara
Konflikttextilien
Analytischer, ästhetischer und politischer Stoff für Friedensforschung und -arbeit
Von textilen Wandbildern aus Zeiten der chilenischen Militärdiktatur bis hin zu bestickten Taschentüchern zum Gedenken an die Opfer des aktuellen Drogenkrieges in Mexiko: Textile Handarbeiten, die sich mit Krieg, Gewalt und Frieden auseinandersetzen, finden sich in unterschiedlichen Weltregionen und historischen Kontexten. Der folgende Beitrag stellt einige dieser Konflikttextilien vor, macht Vorschläge zu ihrer Nutzung in Friedensforschung und Friedensarbeit und diskutiert ihr emanzipatorisches Potenzial.
Claudia Maya & Stefan Peters
Der zerbrochene Spiegel des Krieges
Der kolumbianische Bürgerkrieg im Werk von Jesús Abad Colorado
Kolumbien ist ein von Gewalt gezeichnetes Land. Auch deshalb waren die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Regierung und Guerilla (FARC-EP) im Jahr 2016 groß. Angesichts zahlreicher Herausforderungen benötigt der Friedensprozess heute allerdings die Unterstützung aus Politik und Zivilgesellschaft. Der vorliegende Artikel zeigt am Beispiel einer Ausstellung des Künstlers Jesús Abad Colorado, dass die künstlerische Repräsentation und Dokumentation der Verbrechen durch die Fotografie ein wirkmächtiges Plädoyer für den Frieden sein kann, da es den Menschen die Gewalt der vergangenen Jahrzehnte und deren Konsequenzen aufzeigt.
Christina Hartmann
Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit
Kunst und Kultur in der sudanesischen Revolution
Die im Dezember 2018 gestarteten Proteste der sudanesischen Bevölkerung gegen das seit 30 Jahren herrschende Regime von Präsident Baschir führten im April zu dessen Sturz. Am 17. August 2019 einigten sich Militär und zivile Revolutionsführer*innen schließlich auf die Einsetzung einer Übergangsregierung, bis freie Wahlen abgehalten werden. Ziel dieses Artikels ist es zu zeigen, wie künstlerische Widerstandsformen und Symbole der Friedfertigkeit in der Revolution genutzt wurden, den Zusammenhalt der Demonstrant*innen stärkten und letztlich eine Übergangsregierung mit paritätischer Beteiligung der Opposition erkämpften.
nur Antext
Aicha Kheinette
Die Schönheit der Bombe
Zur Ästhetik im nuklearen Diskurs
Kann eine Massenvernichtungswaffe ästhetisch sein? Kann ein Atompilz sexy wirken? Können nukleare Sprengköpfe romantische Gefühle auslösen? Die Atombombe steht für Tod und Zerstörung und wurde doch zu einem Faszinosum der Moderne. Ihre Ästhetik umfasst apokalyptische Bilder, ikonische Symbole sowie sexuelle Metaphern und ist geprägt von ambivalenten Gefühlen – bis heute, denn die Atombombe ist kein Relikt des Kalten Kriegs, sondern brandaktuell.
nur Antext
Tim Bausch
»House Demolitions«
Eine szenische Darstellung ästhetischen Widerstandes in Palästina
Die nachfolgende Erzählung und die damit verbundene Analyse sind Teil einer größeren Recherche, die sich auf Formen ästhetischen Widerstandes in Israel und Palästina konzentriert. Der Beitrag beschäftigt sich im Speziellen mit der ästhetischen Dimension von Hauszerstörungen und den damit verbundenen Widerstandspraktiken. Ästhetik wird hier nicht als Synonym für etwas Schönes/Ansehnliches verstanden, sondern vom ursprünglichen Wortsinn (aisthesis = sinnliche Empfindung) her gedacht.
nur Antext
Michaela Zöhrer
Schreckensbilder für den Frieden?
Zur Rolle gewaltvoller Bilder in Geschichte und Gegenwart
Rechtfertigt die Realität von Gräuel und Leid das Zeigen und Betrachten gewaltvoller Bilder? Die Zurschaustellung von Schreckens- und Elendsbildern gewinnt ihre Legitimität, wenn überhaupt, oft erst daraus, dass sie im Namen des Friedens, der Gerechtigkeit oder Menschlichkeit erfolgt. Denn es gibt Vorbehalte, dass insbesondere drastische, grausame Bilder von den Betrachtenden als unzumutbar erlebt und den dargestellten Menschen mit ihren jeweiligen Erfahrungen nicht gerecht werden, sie vielmehr zu Objekten degradieren. Was also spricht für, was gegen ein Zeigen gewaltvoller Bilder? Und wie verhält es sich mit Bildern, die vermeintlich Harmloses ausstellen und doch Gewalt antun und bezeugen? Anhand konkreter Beispiele setzt sich der Beitrag mit hoffnungsfrohen bis kritischen Wirkmächtigkeitszuschreibungen an Bilder auseinander, welche die Praxis der Zurschaustellung in Geschichte und Gegenwart begleiten.
nur Antext
Anne Maximiliane Jäger-Gogoll
»Verblendung« als Aufklärung
Eine Gedenkinstallation für die Opfer der »Marburger Jäger«
Der Umgang mit den allenthalben im öffentlichen Raum vorhandenen Kriegsdenkmalen insbesondere aus der Zeit nach 1870/71 und 1918 ist eine weithin offene Frage. Einerseits Orte der Trauer und des Gedenkens für die Hinterbliebenen, die oftmals die Denkmale durch Spenden finanzierten, repräsentieren die Monumente andererseits ein militaristisches Denken und eine Verherrlichung von Töten und Sterben im Krieg, die einer zeitgemäßen Kommentierung bedürfen. Das Beispiel des 1923 errichteten »Jägerdenkmals« in Marburg, dem auf Initiative einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung im Auftrag der Stadt eine kritische Kommentierung in Form einer »Gedenkinstallation« direkt zur Seite gestellt werden soll, ist ein Beispiel für Möglichkeiten einer politisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit Kriegsdenkmalen in der Gegenwart, aber auch für die Hemmnisse, die ihr entgegenstehen.
nur Antext
Michael Jenewein
Menschwerdung im Krieg
Bundeswehr in den Fußstapfen von Ernst Jünger?
Die Werbung für die Bundeswehr wird gerne von zwei Seiten kritisiert. Stellt sich die Bundeswehr als modernes Sicherheits-Dienstleistungsunternehmen dar, so wird ihr vorgeworfen, sie negiere die Spezifik des Soldatenberufs, das Töten bzw. das Kriegführen. Präsentiert sie mit martialischen Bildern den mutigen Einsatz entschlossener Kämpfer, so wird ihr die Verherrlichung des Krieges vorgehalten. Unser Autor hat sich die jüngste Bundeswehr-Werbekampagne angesehen und einen etwas anderen Ansatz gewählt: Er arbeitet heraus, in welche geistesgeschichtliche Tradition sich die Macher dieser Kampagne, vermutlich unbewusst, stellen und was daran faul ist.
nur Antext
Dieter Senghaas
Komponierbare Friedensproblematik?
Der nachfolgende Beitrag zeigt auf, inwiefern Musik als Reflexion internationaler Beziehungen fungiert. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der »Friedensproblematik«. Damit erfasst der Text einen thematischen Aspekt, der in den Paradigmen der Internationalen Beziehungen bisher überraschend wenig Aufmerksamkeit erfährt. Dieter Senghaas zeigt auf, welches Potential dabei klassischer Musik zuteil wird. Im friedenspolitischen Sinne kann klassische Musik vor Krieg warnen, aber auch Frieden erfahrbar gestalten.
nur Antext
Debatte
Christine Schweitzer & Helmut Lohrer
Sanktionen
Ein friedenspolitisches Instrument?
Sanktionen, also nichtmilitärische Strafmaßnahmen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, immer häufiger aber auch einzelne Staaten oder Staatenbündnisse gegen andere Staaten verhängen, sind auch in der Friedensbewegung wieder stärker in der Diskussion. Unilaterale Sanktionen, etwa das US-Embargo gegen Kuba oder die Sanktionen des Westens gegen Russland nach der Krim-Annexion, werden in der Friedensbewegung einhellig abgelehnt. Keine Zustimmung finden aber auch dem Völkerrecht entsprechende Sanktionen, wie die gegen den Irak Saddam Husseins, unter denen die Zivilbevölkerung massiv litt. Dennoch bleibt die Frage, ob aus dieser Kritik eine generelle Ablehnung jedweder Form von Sanktionen abgeleitet werden muss oder ob Sanktionen aus friedenspolitischer Sicht unter bestimmten Voraussetzungen doch eine Option sein können.
Zivilklausel
Senta Pineau
Zivilklausel in NRW und überall
Die kürzliche Streichung der Zivilklausel aus dem Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen und die Kampagne für deren Erhalt fallen zusammen mit dem zehnjährigen Jubiläum der Entstehung der so genannten Zivilklauselbewegung. Zeit für eine politische Bestandsaufnahme.
nur Antext
Historische Friedensforschung
Karlheinz Lipp
Ein Wegbereiter der Friedensbewegung
Vor 50 Jahren starb Friedrich Siegmund-Schultze
Vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland – über mehrere Jahrzehnte und in äußerst unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen – engagierte sich Friedrich Siegmund-Schultze (1885-1969) sehr intensiv in verschiedenen Organisationen für den Frieden und für soziale Fragen. Wie sah dieses Engagement aus?
nur Antext
Forum
W&F-Herausgeberkreis
Aus dem Herausgeberkreis
- Scharfsinnig und kritisch - IALANA trauert um Dieter Deiseroth
- Cyberpeace und IT-Security - FIfF-Kommunikation 3/2019
- Von Flucht und Rassismus - 32. Tagung des FFP, Universität Salzburg, 14.-16. Juni 2019
- Zukunft der Historischen Friedens- und Konfliktforschung - Workshop des AKHF, Berlin, 4. Juli 2019
- Science – Peace – Security 2019 - Auftaktkonferenz, Technische Universität Darmstadt, 25. bis 27.9.2019