Editorial
Jürgen Nieth
25 Jahre Wissenschaft & Frieden
Liebe Leserinnen, liebe Leser, Im Oktober 1983 – vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe von Wissenschaft & Frieden. Werfen wir einen Blick zurück: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Friedensbewegung stärker und in der Öffentlichkeit präsenter als in diesem Jahr 1983. Hunderttausende demonstrierten während des Ev. Kirchentages in Hannover gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missile, fast anderthalb Millionen beteiligten sich am 22. Oktober an den Demonstrationen in Bonn, Berlin und Hamburg sowie an der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. Sechs Millionen hatten den Krefelder Apell unterschrieben, mit der Aufforderung „an die Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen.″
| Medien und Krieg/Frieden |
Gastkommentar
David Krieger
Was können wir vom nächsten US-Präsidenten erwarten?
Die bevorstehende Wahl des nächsten US-Präsidenten ist vielleicht die wichtigste in der Geschichte der USA, ja sogar in der Geschichte der Menschheit. Der nächste Präsident wird, wie alle US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg, seinen Finger auf dem nuklearen Knopf haben, und von seinem Charakter und Temperament wird es abhängen, ob er die Weltpolitik weiter aus dem Blickwinkel des Militarismus angeht oder ob die Außenpolitik der USA statt dessen auf Dialogbereitschaft setzt.
| USA |
Presseschau
Jürgen Nieth
Der Fünf-Tage-Krieg
Am 7. August startete das georgische Militär eine Blitzoffensive zur Eroberung Südossetiens. Dabei wurden nach Information des georgischen Außenministers 9.000 Soldaten eingesetzt, der »Spiegel« (Nr.35/2008, S.129) spricht von 12.000. Die Zivilbevölkerung der südossetischen Stadt Zchinwali und die dort stationierten russischen Friedenstruppen wurden bombardiert. Dutzende Zivilisten und 18 russische Blauhelme starben. Am frühen Morgen des 8. August drangen nach westlichen Schätzungen 5.500 bis 10.000 russische Soldaten nach Südossetien vor, später auch bis vor die georgische Hauptstadt Tiflis. Ein Faktor, der zu einer einhelligen Verurteilung Russlands in der westlichen Presse führte.
| Kaukasus/Kasp. See | Russland / SU |
Friedenswissenschaft
David Adams
Betreff: Kultur des Friedens
Brief an meine akademischen Freunde
Der vorliegende Brief von David Adams beruht auf einer umfänglichen E-Mail-Korrespondenz im Rahmen der Erarbeitung eines Handbuchs zur Kultur des Friedens. Einige der dabei angesprochenen Themen sind von allgemeinem Interesse, wenn man sich mit dieser Thematik wissenschaftlich auseinandersetzt. Das bewog Adams, seine Gedanken in Form eines Briefes an seine akademischen Freunde niederzuschreiben. Wir veröffentlichen diesen Brief vom August 2007, gekürzt und redaktionell bearbeitet, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der ungekürzte O-Text ist im Internet unter http://www.culture-of-peace.info/letter/Letter_to_Academic_Friends.pdf zu finden. Die Übersetzung und Bearbeitung besorgte Albert Fuchs.
| Konfliktbearb./-prävention | Friedenswiss./-forschung |
Ute Finckh-Krämer
Was erwartet die Friedensbewegung von der Friedensforschung?
Aus Sicht der Friedensbewegung kann die Friedensforschung zu einer Reihe von theoretisch und praktisch relevanten Fragestellungen, Diskussionen bzw. Aktivitäten beitragen; die folgenden Überlegungen werfen eine Vielzahl entsprechender Aspekte auf, die in den verschiedenen Strömungen der Friedensbewegung kontrovers diskutiert werden oder für deren Tätigkeit mittelbar oder unmittelbar Relevanz haben.
| Friedensbewegung | Friedenswiss./-forschung |
Herbert Wulf
Politikberatung der Friedens- und Konfliktforschung
nicht immer friktionsfrei und erfolgreich
Die Friedens- und Konfliktforschung hat nicht nur den hohen Anspruch, die Ursachen von Krisen, Konflikten und Kriegen zu erklären und auf der Basis solider wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Problemlösung einen Beitrag zu leisten, sondern sie will darüber hinaus auch durch Politikberatung die Erkenntnisse möglichst anwendungsorientiert und damit effektiv und nachhaltig umsetzen. Wie ist es um dieses Anliegen bestellt?
| Friedenswiss./-forschung |
Helmut Hugler
Hat die Friedensforschung Einfluss auf die Politik?
FriedenswissenschaftlerInnen haben in der Regel den Anspruch auf praktische Relevanz ihrer Forschung. Das unterscheidet sie nicht unbedingt von anderen sozialwissenschaftlichen Forschenden. Die erheblichen Veränderungen der außenpolitischen Praxis in Deutschland (Stichworte hierfür sind die Zunahme der Bedeutung der deutschen Außenpolitik und der internationalen Einsätze der Bundeswehr) werfen jedoch die Frage auf, inwiefern die Friedens- und Konfliktforschung Einfluss auf diese Entwicklung hat und damit die Frage nach deren Praxisrelevanz. Aus meiner Sicht als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag hört sich die Antwort widersprüchlich an: Der Einfluss von friedenswissenschaftlicher Expertise und Politikberatung auf die Politik hat zugenommen trotz oder wegen der aktiveren militärischen Rolle der Bundesrepublik. Um dies zu begründen, werde ich von verschiedenen Seiten, jedoch exemplarisch, das komplexe Zusammenspiel beleuchten.
| Friedenswiss./-forschung |
Anna Ammonn & Christiane Lammers
Ausbildung für die Friedensarbeit
Die Zunahme von Gewaltkonflikten, bei denen die traditionellen Instrumente der Frühwarnung, die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mittel zu ihrer Eindämmung, ja selbst die Begriffe zu deren Verständnis angesichts der Komplexität vollständig versagten, haben seit den 1990er-Jahren zu neuen Konzepten in der Friedens- und Entwicklungsarbeit geführt. Unbenommen der klassischen Militärkritik werden Handlungsfelder im Sinne einer konstruktiven Friedensarbeit aufgebaut und professionalisiert.
| Friedenspädagogik | Friedensbewegung |
Veronique Dudouet
Zivilgesellschaft und Konflikttransformation
eine komplexe Wechselbeziehung
Die Zivilgesellschaft ist heute eines der »angesagtesten« Konzepte in den Sozialwissenschaften. Die entscheidende Rolle des sogenannten »Dritten Sektors« für Entwicklung, Demokratisierung und in politischen Entscheidungsprozessen wurde zunehmend seit den späten 1980er Jahren von Wissenschaftlern bestätigt und in den 1990 Jahren auch von politischen Entscheidungsträgern und Entwicklungsorganisationen wahrgenommen1. In jüngerer Zeit ist zudem das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Beitrag nicht-staatlicher Akteure zur Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung erwacht.
| Konfliktbearb./-prävention |
Marcel M. Baumann
Zwei Friedensprozesse
Nordirland im Schatten seiner »Friedensstifter«
Der vorliegende Beitrag versteht sich als kritische Bestandsaufnahme des nordirischen Friedensprozesses, der als Erfolgsmodell für alle »ungelösten« innerstaatlichen Konflikte der Welt gilt. Regelmäßig werden Vergleiche und Analogien mit dem Baskenland, Sri Lanka und vor allem mit dem Nahen Osten hergestellt. Nordirland wird zum »Role Model«, der Friedensprozess zur weltweiten Folie konstruktiver Konfliktbearbeitung. Im vorliegenden Beitrag wird dagegen die Gegenthese zum »Role Model Nordirland« begründet und – ausgehend vom Verständnis von Friedensforschung als kritischer Wissenschaft – auf vorhandene Missstände im Friedenskonsolidierungsprozess hingewiesen.
| Konfliktbearb./-prävention |
Dermot Feenan
Paramilitärische Bestrafung in Nordirland
Eine situationsbezogene Methodologie zu ihrer Erforschung
Dieser Beitrag befasst sich mit einer Reihe von methodologischen Fragen, die bei der Erforschung von paramilitärischem Bestrafungshandeln in Nordirland auftreten. Diese Fragen betreffen – allgemein formuliert – den Zugang, die Sicherheit und rechtliche Dimensionen. Da diese Aspekte im weiteren Sinne im Feld der sogenannten »gefährlichen« oder »heiklen« Forschung verortet sind (Lee 1993, 1995), erfordert die Umsetzung methodologische Sensitivität hinsichtlich des zeitlichen, örtlichen und kulturellen Kontextes.1
| Folter | Friedens-/ Kriegspsych. |
Martina Fischer
Friedenswissenschaftliche Evaluierungs- und Aktionsforschung
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begannen staatliche und nicht-staatliche Akteure über die Folgen externer Einmischung durch Entwicklungsprojekte und Humanitäre Hilfe kritisch zu reflektieren. Es hatte sich gezeigt, dass auch gut gemeinte Unterstützung ungewollt Schaden anrichten kann, weil der Transfer von finanziellen oder materiellen Ressourcen in falsche Hände geraten, Bürgerkriegsökonomien fördern, Kriege verlängern oder lokale Märkte stören kann. Der Slogan »Do no harm« (Anderson 1999) und die Forderung nach konfliktsensitiver Gestaltung externer Einmischung wurden geprägt. Darüber hinaus wurde diskutiert, wie Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) aktiv zur Friedensförderung beitragen können.
| Friedenswiss./-forschung |
Felder der Friedensforschung
Elisabeth Naurath
Religion, Gewalt, Geschlecht
Gender als vernachlässigte Frage im Diskurs religiöser Gewaltforschung
Beim Betrachten der Thematik »Religion und Gewalt« wird zumeist und vorrangig der Aspekt eines absolut gesetzten Wahrheitsanspruchs mit dem Entstehen fundamentalistischer (und damit tendenziell intoleranter) Einstellungen diskutiert. Die religiöse bzw. ethisch-moralische Entwicklung als Baustein der Disposition zu Gewalt(bereitschaft) ist demgegenüber nicht im Blick. Folglich wird auch die im Zuge der ethischen Bildung stark diskutierte Gender-Thematik für den Zusammenhang von Religion und Gewalt weitgehend ignoriert. Beide Perspektiven sollen in der folgenden gebündelten Fragestellung in den Vordergrund treten, um die Dringlichkeit weiterer Forschung aufzuzeigen: Welche Rolle spielen Geschlecht und Religion für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft?
| Gender/Feminismus | Religion/Kultur |
Hans Walden
Musealer Militarismus
Das Tamm-Museum in Hamburg
In Hamburg gibt es am Rand der neuen HafenCity ein neues Großmuseum: das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH). Da es auf der riesigen Sammlung beruht, die der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags, Peter Tamm, zusammengetragen hat, ist es allgemein unter dem Namen »Tamm-Museum« bekannt. Es ist ein Privatmuseum, doch wäre seine Realisierung im alten Kaispeicher B ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Stadt Hamburg nicht möglich gewesen. Die Eröffnung des Museums am 25. Juni 2008 versammelte über 800 geladene Gäste. In einem symbolischen Akt hissten Peter Tamm, hinter ihm Bundespräsident Horst Köhler und Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust gemeinsam die Museumsflagge.
| Militär und Gesellsch. | Rechtsextr./Rassismus |
Jürgen Scheffran
Ein Klima der Gewalt?
Das Konfliktpotenzial der globalen Erwärmung
Im Jahr 2007 rückte das Drama um die globale Erwärmung in den Brennpunkt der weltweiten Öffentlichkeit. Zu Beginn des Jahres wurde der Dokumentarfilm des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore in Hollywood mit einem Oscar ausgezeichnet. Die »unbequeme Wahrheit« über schmelzende Gletscher, Naturkatastrophen und Klimaflüchtlinge bewegte weltweit Millionen von Menschen, ebenso wie auch das globale Live Earth Concert Mitte des Jahres.
| Konflikt-/Gewaltursachen | Ökologie |
Monika Nehr
Vorzeiten
Mutterrecht und Friedfertigkeit – revisited
Schon einmal bewegte ich mich auf den Spuren femininer Vorzeiten – und ich bewegte mich nicht allein. Das Thema »weibliche Friedfertigkeit und patriarchaler Rüstungswahn« – zusammengefasst in der einfachen Frage: Sind Frauen friedlicher? – bewegte seinerzeit viele von uns, als das Inhalts- wie Sprachungetüm »NATO-Doppelbeschluss« vom 12. Dezember 1979 die weltweit wohl größte Friedensbewegung auslöste. Ende 1983 steuerte sie nach der zweiten Ungeheuerlichkeit, die »Nachrüstungsbeschluss« hieß, auch in der Bundesrepublik Deutschland auf ihren Höhepunkt zu und verebbte erst nach der Stationierung atomarer Raketen auf west- und ostdeutschem Territorium.
| Religion/Kultur | Historische Friedensf. |
Aktuelle Konflikte
Timm B. Schützhofer
Soziale Integration statt Politik der »harten Hand«
Nicaragua als Vorbild im Kampf gegen die Jugendgewalt
Nach Ende der Bürgerkriege um 1990 wurde Gewaltkriminalität, insbesondere den so genannten »Maras« angelastete Verbrechen, spätestens seit Ende der 90er Jahre das zentrale politische Thema in Guatemala, Honduras und El Salvador (Tríangulo Norte). Rechtsgerichtete Politiker konnten sich mit einer an der US-amerikanischen Zero-Tolerance-Strategie orientierten Politik der »harten Hand« (mano duro) profilieren. In Nicaragua, das allerdings weit weniger vom Phänomen der Jugendgewalt betroffen ist, setzt man hingegen vor allem auf präventive Maßnahmen beim Kampf gegen Jugendkriminalität. Das jedoch auch hier wachsende Kriminalitätsproblem spielte beim letzten Wahlkampf um die Präsidentschaft (2006) keine Rolle. Hinsichtlich der Ursachen für diese Unterschiede ist auf die Primärfaktoren Bürgerkrieg und Migration sowie Armut und Ungleichheit zu verweisen; als wichtiger Sekundärfaktor ist der gesellschaftliche Umgang mit dem Phänomen Jugendgewalt zu berücksichtigen.
| Konfliktbearb./-prävention |
Alexander S. Neu
LEX Yugoslavia
Die Weiterentwicklung des Völkerrechts hin zu Beliebigkeit
Der Degenerierungsprozess des UNO-Völkerrechts lässt sich an keinem Beispiel so gut illustrieren wie dem Umgang des Westens mit dem Staat Jugoslawien bzw. Serbien. Im Folgenden soll die Problematik der Hierarchieverkehrung der beiden Völkerrechtsnormen, der staatlichen Souveränität und des externen Selbstbestimmungsrechts, anhand der jugoslawischen Tragödie – hier begrenzt auf das Kosovo-Problem – nachgezeichnet und deren Konsequenzen für das Völkerrecht skizziert werden.
| Rechtsfragen | Balkan (-kriege) |
Magdalena Marsovszky
„Hat denn diese Rasse – habt Ihr endlich Angst?″
Antisemitismus in Ungarn
Gelegentlich finden sich in den deutschen Medien Berichte über gewalttätige Demonstrationen oder das Auftreten paramilitärischer Verbände in Ungarn; zwar ist auch vom Antisemitismus die Rede, doch die Dimension und gesellschaftliche Verbreitung entsprechender Denkfiguren bleibt unbeachtet.
| Rechtsextr./Rassismus |