Editorial
Jürgen Nieth
Fischers »strategische Dimension«
Liebe Leserinnen, liebe Leser, der deutsche Außenminister ist schon per Amt einer der einflussreichsten in der EU und es ist auch kein Geheimnis, dass Joseph Fischer gerne EU-Außenminister werden möchte. Es ist also verständlich, dass sich keiner aus der deutschen Ministerriege so oft und so umfassend zu europäischen Zukunftsfragen zu Wort meldet wie er. Manchmal dabei auch Irritationen auslösend. So als er sich am 28.02.04 in einem Interview mit der Berliner Zeitung von der These eines Kerneuropas – einer EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, für die er seit vier Jahren gestritten hatte – verabschiedete.
| Europäische Union | Weltordnung |
Gastkommentar
Helmuth Prieß
Die Bundeswehr ist keine Polizei
Seit Jahren taucht aus dem konservativen Lager immer wieder der Vorschlag auf, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen; z.B. zur Abwehr illegaler Einwanderer an den Landesgrenzen oder – seit den Anschlägen vom 11. September 2001 – zur Bekämpfung des Terrorismus.
| Bundeswehr | Militär und Gesellsch. |
Kommentierte Presseschau
Jürgen Nieth
1 Jahr danach
Um 3.33 Uhr am Morgen des 20. März 2003 beginnen die USA mit der Bombardierung des Irak. Ein Jahr später machen drei der überregionalen deutschen Tageszeitungen mit dem Thema Irak-Krieg auf: Die taz: „Iraks Zukunft hat schon begonnen″, die Welt: „Bush: »Die ganze Welt ist im Krieg.« US-Präsident dankt Irak-Veteranen″ und die Süddeutsche Zeitung: „Bushs »Koalition der Willigen« wackelt.″ Der angekündigte Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak und die Absatzbewegungen Polens finden auch bei der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen den Weg auf die Titelseite.
| Kriegs-/Rüstungsfolgen | Irak/Golfkriege |
EU – Zivil- oder Militärmacht?
Andreas Zumach & Regina Hagen
Quo vadis Europa?
Andreas Zumach im Interview
Die Europäische Union hat demnächst 25 Mitglieder und es sieht so aus, als ob mit der wachsenden Zahl auch die Differenzen zwischen den Regierungen der Mitgliedsländer zunehmen würden. Das zeigte sich besonders deutlich in den Auseinandersetzungen um den Irakkrieg, wird aber auch in der Diskussion um eine europäische Verfassung sichtbar. Gleichzeitig wächst die Konkurrenz zwischen der EU und den USA. In dieser Situation bekommt die Debatte über ein »Kern-Europa«, einen engeren Zusammenschluss der Länder, die »schneller vorangehen möchten«, eine neue Bedeutung. Andreas Zumach im Gespräch mit Regina Hagen über die transatlantischen und innereuropäischen Probleme sowie über den künftigen Weg Europas.
| Europäische Union | Weltordnung |
Peter Becker & Philipp Boos
Militarisierung oder Chance für zivile Konfliktschlichtung?
Zum Entwurf für die Europäische Verfassung
Der Beitrag beschreibt die Entwicklung des sicherheitspolitischen Teils im Entwurf für die Europäische Verfassung. Die Autoren haben im Rahmen eines Projektes der IALANA, der IPPNW und der Humanistischen Union versucht, auf die Entwicklung der Verfassung Einfluss zu nehmen. Dabei ist es gelungen, einzelne aus friedenspolitischer Sicht zu begrüßende Änderungen am Entwurf der Verfassung zu erzielen. Einleitend ist aber bereits festzustellen, dass der Verfassungsentwurf auch sehr kritikwürdige Bestimmungen enthält, die den Vorwurf einer Militarisierung der Europäischen Union rechtfertigen.
| Europäische Union | Rechtsfragen |
Mohssen Massarrat
Europas Beitrag für eine multilaterale Weltordnung
Die US-Außenpolitik ist unter Georg Bush, jun. aggressiver geworden und – wie vor, während und nach dem Irakkrieg deutlich wurde – treten damit auch die Differenzen innerhalb des westlichen Bündnisses stärker hervor. In Wissenschaft und Frieden 1-2004 hat Mohssen Massarrat das Zusammenwirken verschiedener hegemonialer Triebkräfte in der US-Politik untersucht, die grundlegend sind für den verschärften außenpolitischen Kurs der USA. Gleichzeitig hat er darauf hingewiesen, dass sich im Irak selbst die Grenzen der amerikanischen Expansionspolitik zeigen und dass immer mehr Amerikaner angesichts des Irak-Desasters für eine Abkehr vom eingeschlagenen Weg plädieren. Liegt hier die Chance für Schritte in Richtung einer anderen, multilateralen Weltordnung? Der Autor geht auf die verschiedenen Weltordnungsmodelle ein und der Frage nach, welche Rolle Europa im Ringen um eine humanere und gerechtere Weltordnung spielen kann.
| Weltordnung | Europäische Union |
Tobias Pflüger
EU-Verfassung gescheitert – neue Militärstrategie verabschiedet
Bei ihrem Gipfel in Rom konnten sich die Regierungschefs der EU nicht auf den vorliegenden Verfassungsentwurf einigen. In der Folge gab es eine verstärkte Diskussion um ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, ein Europa, indem einige Länder in der Zusammenarbeit »vorangehen« – und das vor allem auf militärischen Gebiet. Vor diesem Hintergrund ist von besonderem Interesse, dass die EU in Rom eine verbindliche Militärstrategie verabschiedet hat. Tobias Pflüger über die neuen militärischen Planungen und den dominierenden Einfluss Frankreichs und Deutschlands auf die zukünftige EU-Truppe.
| Europäische Union | Militärstrategien |
Regina Hagen
Europa – eine führende Macht im Weltraum?
„Auf globaler Ebene ist die wirklich entscheidende Entwicklung im Weltraumsektor die permanente Überarbeitung der US-Weltraumpolitik″, zeigt sich der Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur (ESA) überzeugt.1 Kombiniert mit der Erweiterung der Europäischen Union, der Umsetzung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, gestiegenen Sicherheitsanforderungen und der wichtigen Rolle von Weltraumtechnologie für eine Vielzahl von Nutzern ergibt sich aus seiner Sicht die Notwendigkeit, die Rolle der ESA neu zu definieren. Das heißt, die ESA soll in Zukunft zu »Verteidigung und Sicherheit« beitragen. Regina Hagen über die erstaunliche Entwicklung einer Organisation, die sich noch vor wenigen Jahren beleidigt dagegen wehrte, mit Militär überhaupt in Zusammenhang gebracht zu werden, die jegliche Anspielungen auf »dual use« empört von sich wies und die gemäß ihren Statuten auf „friedliche Zwecke″ verpflichtet ist.
| Europäische Union | Weltraumforsch./-militaris. |
Johannes Lauterbach
Der andere Kriegsschauplatz
Aspekte der EU-Handelspolitik
Das Augenmerk vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen richtet sich aus aktuellem Anlass auf die Entwicklung der gemeinsamen EU-Militärpolitik. In einem anderen Feld, der Handelspolitik, ist die Ausbildung einer zentralen EU-Kompetenz durch den Vertrag von Nizza bereits erheblich weiter fortgeschritten. Johannes Lauterbach gibt einen Überblick über die handelspolitischen Aktivitäten der EU, insbesondere im Rahmen der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Cancun.
| Europäische Union | Weltordnung |
Karl Kopp
Schutz für Flüchtlinge oder Schutz vor Flüchtlingen?
Ein breites Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsorganisationen forderte Mitte Februar 2004 die rot-grüne Bundesregierung auf, ihren Versuch aufzugeben, die deutsche Drittstaatenregelung auf die EU-Ebene zu exportieren. Die Verbände sehen die Gefahr, dass elf Jahre nach der Grundgesetzänderung die Übernahme des deutschen Modells einer Drittstaatenregelung durch ein Europa der 25 den flüchtlingspolitischen GAU produzieren würde. Die potentiellen künftigen »sicheren Drittstaaten« hießen dann Russland, Weißrussland, Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Mazedonien und Türkei – Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen immer noch an der Tagungsordnung und internationale Flüchtlingsrechtsstandards nicht vorhanden sind. Das wäre das Ende des individuellen Asylrechts in Europa. Karl Kopp untersucht die Trends in der europäischen Flüchtlingspolitik und setzt sich besonders mit der deutschen Position auseinander.
| Europäische Union | Asyl/Flucht |
Elisabeth Schroedter
Kultur der Prävention – Anspruch und Wirklichkeit
Ziviles Konfliktmanagement in der europäischen Sicherheitspolitik
Die EU hat in den letzten Jahren die politischen und militärischen Entscheidungsstrukturen zur Krisenbewältigung systematisch ausgebaut. Mit der neuen militärstrategischen Planung sollen jetzt offensichtlich die Voraussetzungen geschaffen werden, um den Entscheidungsstrukturen die militärischen Kapazitäten zur Durchsetzung an die Seite zu stellen. Elisabeth Schroedter schildert vor diesem Hintergrund die Entwicklungen auf dem Gebiet der zivilen Konfliktbearbeitung und geht der Frage nach, inwieweit diese als Ergänzung des militärischen Handelns oder aber als Alternative gesehen werden.
| Europäische Union | Konfliktbearb./-prävention |
Gernot Lennert
Kriegsdienstverweigerung in der EU und den Beitrittsländern
Der vorliegende Beitrag verdeutlicht die Unterschiedlichkeit bis Gegensätzlichkeit der Handhabung von Kriegsdienstverweigerung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den Staaten, deren Beitritt zur EU bis 2007 vorgesehen ist. Die Rede von der europäischen Wertegemeinschaft ist diesbezüglich wenig mehr als eine Leerformel. Allerdings scheint der Integrationsprozess zu einer zunehmenden Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung beizutragen. Ernüchternd wirkt dagegen, dass der noch zur Annahme ausstehende EU-Verfassungsentwurf keine einheitliche Regelung im Sinne dieses Rechtes vorsieht, sondern auch die repressivste einzelstaatliche Behandlung von Kriegsdienstverweigerern deckt.
| Europäische Union | Kriegsdienstverweigerung |
Massenvernichtungswaffen
Karel Koster
Ein gefährlicher Widerspruch
Die Nukleardoktrin der NATO und der Nichtverbreitungsvertrag
In der Verteidigungsdoktrin der NATO gibt es eine merkwürdige Doppelbödigkeit. 16 der 19 NATO-Mitglieder sind nach der Definition des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) »Nicht-Atomwaffenstaaten«. Gleichzeitig gehören sie aber einem Bündnis an, für das nukleare Abschreckung ein elementarer Bestandteil seiner Militärdoktrin ist. Die Kritik an den Atomwaffentests von Indien und Pakistan; die aktive Unterstützung des mit Massenvernichtungswaffen begründeten Irakkriegs durch europäische NATO-Staaten; die diplomatische Offensive gegen Libyen, Iran und Nordkorea – all diese politischen Manöver lassen den Widerspruch deutlich werden, dass sich die NATO einerseits auf nukleare Abschreckung verlässt und andererseits nukleare Abschreckung durch andere Staaten verurteilt. Dieser Widerspruch behindert schon seit langem die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um nennenswerte Fortschritte bei der Abrüstung von Atomwaffen.
| A-Waffen-freie Zonen/NVV | NATO |
Theorie
Marianne Müller-Brettel
Der Krieg und die Kultur
Eine evolutionspsychologische Perspektive
Im vorliegenden Beitrag fragt die Autorin nach der funktionalen Verankerung der Institution Krieg in der Geschichte der Menschheit. Unter dieser Perspektive schreibt sie dieser Institution eine gewisse positive Bedeutung zu. Durch die eigene Entwicklungsdynamik aber hat das Militär- und Kriegswesen zwischenzeitlich seine positive Funktion verloren bzw. wurde diese in das Gegenteil verkehrt, so dass Überleben und weitere Entwicklung der Menschheit die Abschaffung der Institution Krieg erfordern. Wir stellen diese »dialektische« Betrachtung zur Diskussion.
| Historische Friedensf. | Militär und Gesellsch. | Friedens-/ Kriegspsych. |
Diskussion
Peter Strutynski
Friedensbewegung unter soziologischer Beobachtung
In W&F 1-2004 hat der »Bewegungsforscher« Dieter Rucht, Prof. für Soziologie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, die Ergebnisse einer Studie über die TeilnehmerInnen der Berliner Friedensdemonstration gegen den Irakkrieg im Februar 2003 vorgestellt – Ergebnisse, die in Teilen bereits direkt nach der Demonstration in den Medien ein breites Echo fanden. Peter Strutynski unterzieht die Befragung und ihre doppelte mediale Aufbereitung einer kritischen Betrachtung und legt dar, warum die TeilnehmerInnen an Demonstrationen eigentlich nie den Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren – auch dann nicht, wenn sie dem Willen der großen Mehrheit Ausdruck verleihen.
| Friedensbewegung |
Bericht
Stiftung Dr. Roland Röhl
Mönche zwischen den Fronten
Göttinger Friedenspreis 2004
Nur wenige Schritte trennen die Benediktinerabtei Hagia Maria Sion und ihre Friedensakademie Beit Benedikt von der jüdischen Klagemauer, der Grabeskirche Christi und der Al Aksa-Moschee der Muslime. Inmitten der von blutiger Geschichte und gewaltsamem Alltag zerrissenen Stadt Jerusalem, im Zentrum des arabisch-israelischen Konfliktes haben die Mönche um den Abt Benedikt Lindemann Räume für Besinnung, Begegnung und Dialog geschaffen. In einer Zeit, in der der Frieden zwischen Staaten und innerhalb der Gesellschaften deutlicher denn je von der Fähigkeit zur Toleranz unter den Kulturen und Religionen abhängt, ist das aktive Beispiel einer christlichen Gemeinschaft, die in diesem Sinne wirkt, von herausragender Bedeutung. Deshalb wurde in diesem Jahr der Göttinger Friedenspreis an den Abt Benedikt Lindemann verliehen. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, hielt die Laudatio und in seiner Antwort vermittelte der Abt einen Eindruck von der sicher nicht leichten Arbeit der Mönche „zwischen den Fronten″.
| Friedensbewegung | Konfliktbearb./-prävention | Israel/Palästina |