Paul Schäfer
Editorial
Auf dem Trockenen zu sitzen kann unangenehm sein. Einen allzu glücklichen Eindruck machen die Rekruten unseres Titelbildes keineswegs. Sie können trotz Anstrengung nicht vorankommen.
| Militärstrategien | Weltordnung |
Corinna Hauswedell
Aus dem Nebel – aber ohne Fernsicht
Der neubegonnenen Europadiskussion fehlen Visionen
Ganz offensichtlich drückt der deutsche Vereinigungsprozeß der sich belebenden Europadiskussion seinen Stempel des Pragmatismus auf. Die NATO tut sich schwer, zu anderen Ufern aufzubrechen. Es scheint, als seien die Zeit und wichtige Akteure »nicht reif«, wirklich neu zu denken und einzuleiten, was wesentlich durch Gorbatschows Reforminitiative vor etwas über fünf Jahren inspiriert und durch die folgenden Umbrüche in Osteuropa möglich wurde.
| Weltordnung | Europäische Union |
Manfred Müller
Demokratisierung, Abrüstung und europäische Sicherheit
Das bipolare Gesellschafts- und Bündnissystem, das über 40 Jahre das Ost-West-Verhältnis bestimmte und die Weltentwicklung beeinflußte, bricht zusammen. Es brachte uns einen, wenn auch ständig bedrohten und mit wachsenden Opfern erkauften, Frieden. Wie wird Frieden in Zukunft zu sichern sein?
| Abrüstung/Konversion |
Gernot Böhme
BRD – was nun?
Wir dürfen die Chance einer demokratischen Erneuerung der BRD nicht ein weiteres Mal vertun
Es wird wohl nur wenige geben, die gleich mir in den letzten Wochen das Bedürfnis spürten, Peter Brückners Buch von 1978 wieder aufzuschlagen: „Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären″. Die Bundesrepublik ist heute kein erklärungsbedürftiges Phänomen, vielmehr mit allem, was zu ihr gehört, das Allerselbstverständlichste von der Welt: DM, soziale Marktwirtschaft, Grundgesetz, mit Regierung und Regierten. Das »Modell Deutschland«, seinerseits vergeblich zum Wahlslogan erhoben, hat als Modell Bundesrepublik realgeschichtliche Bedeutung erlangt. Die Frage, „Was ist des Deutschen Vaterland?″, ist durch die „Abstimmung mit den Füßen″ entschieden worden und damit endgültig der politisch-romantischen Sphäre entrissen. „BRD, keine Frage!″ – das war es doch, was uns von drüben entgegenschallte, und die Politiker sonnten sich im Licht dieser einfachen Affirmation. Vielleicht war es die Verwunderung über diese neuen Selbstverständlichkeiten, die mich noch einmal zu dem genannten, wohl gänzlich überholten, jedenfalls vergessenen Buch von Peter Brückner greifen ließ. Was war es doch, was es seinerzeit nötig machte, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären?
| Rechtsfragen |
Jürgen Schneider
Die Verwundbarkeit der Ökosphäre
Kooperation statt Dominanz als Chance für das Überleben
Das Titelbild des Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden (Nr. 5, Dez. 1987) zeigte nach Abschluß des INF-Vertrages eine »neue Karte der nuklearen Welt«, in der 5 der Kästen (600-800 Megatonnen) der nuklearen Vernichtungskapazität als eliminiert gekennzeichnet wurden. Viele in der Friedensbewegung hatten wirklich geglaubt, nun werde die nukleare Abrüstung beginnen. Das wurde uns allen ja auch eingeredet. Aber die Wirklichkeit ist, daß bis heute kein einziger der atomaren Sprengköpfe vernichtet ist. Sie blieben entsprechend dem INF-Vertrag alle erhalten. Neue, modernere, raffiniertere Atomwaffen werden z. B. in Form von luft- und seegestützten cruise missiles gebaut. Es ist das alte »Falschspiel mit der Abrüstung«, wie es schon Alva Myrdal in ihrem Buch so eindrucksvoll und eindringlich beschrieben hat.
| Ökologie |
Burkhardt J. Huck
Bundeswehrplanung zwischen Umrüstung und Abrüstung
Die Gefahr eines sowjetischen Überraschungsangriffes war seit dem Beginn des Angriffs des kommunistischen Nordkoreas gegen Südkorea die militärische raison d'etre des Nordatlantikpaktes. Aus dieser Bedrohungsvorstellung begründete sich die kollektive Verteidigung der NATO-Staaten mittels der Strategie der Abschreckung durch militärische Stärke, die sich seit der Direktive des Nordatlantikrates vom Dezember 1956 an der des Warschauer Paktes orientiert, und die Vorneverteidigung möglichst weit an der Ostgrenze des Bündnisgebietes.
| Rüstung/R.-industrie | Abrüstung/Konversion |
Wolfgang Kötter
Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen und internationale Sicherheit
Das Regime der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen ist bedroht; der entsprechende Vertrag befindet sich in existentieller Gefahr. Wo liegen die Ursachen für die besorgniserregende Lage? Der nachfolgende Artikel geht auf Fragen ein, die angesichts der bevorstehenden 4. Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtweiterentwicklung von Kernwaffen (NPT) (20. August – 14. Septemper d. J. in Genf, hochaktuell sind. Die Konferenz wird die Erfüllung der Vertragsbestimmungen durch die 142 Mitglieder prüfen und Maßnahmen zur weiteren Realisierung und Stärkung der NPT beraten. Besondere Bedeutung gewinnt sie dadurch, daß es die letzte solcher Bestandaufnahmen ist, bevor 1995 vertragsgemäß eine Entscheidung über die Verlängerung des Vertrages gefällt wird.
| A-Waffen-freie Zonen/NVV | Rüstungskontrolle |
Jutta Weber-Bensch & Peter Strutynski
Konversion: Fallbeispiel Kassel
Der INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR, der die Verschrottung der Mittelstreckenraketen beinhaltete, einseitige Truppen- und Rüstungsreduzierung der Staaten des Warschauer Vertrages sowie die dramatischen politischen Veränderungen in diesen Ländern haben die Abrüstung zu einem neuen Thema der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft auch der Bundesrepublik gemacht. Angesichts des stark bröckelnden »Feindbildes« in der Bundesrepublik und des sichtbar schrumpfenden realen Militärpotentials der Warschauer Vertragsstaaten stellen sich vermehrt Fragen nach dem Sinn weiter steigender Ausgaben im Rahmen des Verteidigungshaushaltes. Es scheint, als käme nicht nur das Projekt »Jäger 90« ins Schleudern. „Im Verteidigungsministerium″, so weiß jedenfalls die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu berichten, „und in großen wehrtechnischen Unternehmen werden bereits Szenarien für die »Zeit danach« entworfen.″ (FAZ, 26.01.1990).
| Abrüstung/Konversion |
Chris Hables Gray
Cyborg Soldier
Das US-Militär und der postmoderne Kämpfer
Bedenken Sie, daß nicht nur der Mann den Krieg macht, sondern auch der Krieg den Mann. / Barbara Ehrenreich (1987)
In der Tat: Der Krieg macht den Mann. Und nicht nur der wirkliche Krieg. Mögliche Kriege, eingebildete Kriege, sogar undenkbare Kriege prägen heute Männer – und Frauen. Geradeso wie der moderne Krieg moderne Soldaten erforderte, braucht der postmoderne Krieg1 Soldaten mit neuen militärischen Tugenden, die den unglaublichen Anforderungen eines hochtechnologischen Krieges gewachsen sind. Zum Teil sind diese neuen Soldaten durch wissenschaftliche Personalverwaltung und Marketing Analyse geprägt, die mit traditioneller militärischer Disziplin und Gemeinschaft eine prekäre Verbindung eingehen. In einem anderen Sinne allerdings sind es die Waffen selbst, die den US-Soldaten von heute und von morgen bestimmen.
| Rüstungsforsch./-technik |
Bernhelm Booß-Bavnbek & Glen Pate
Wie rein ist die Mathematik?
50 Jahre militärische Verschmutzung der Mathematik
Heraklits dunkles Wort „Der Krieg ist der Vater aller Dinge″ hat in seiner platten militaristischen Form1 wie in seinen vielfältigen philosophischen Überhöhungen2 eine unerhörte Verbreitung gefunden, ohne daß bisher von den Einzelwissenschaften eine umfassende historische Aufarbeitung der Bedeutung von militärischen Denkweisen, Anforderungen und Umgebungen für die Entwicklung der Disziplinen geleistet wurde. Nicht eingelöst wurde das Marxsche Untersuchungsprogramm dieses Aspektes aus der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, wo er für den Abschnitt Produktion, Produktionsmittel und Produktionsverhältnisse vermerkt: Staats- und Bewußtseinsformen im Verhältnis zu den Produktions- und Verkehrsverhältnissen. Rechtsverhältnisse. Familienverhältnisse. Notabene in bezug auf Punkte, die hier zu erwähnen, und nicht vergessen werden dürfen: 1) Krieg früher ausgebildet wie der Frieden; Art, wie durch den Krieg und in den Armeen etc. gewisse ökonomische Verhältnisse, wie Lohnarbeit, Maschinerie etc. früher entwickelt als im Innern der bürgerlichen Gesellschaft…3
| Verantw. der Wiss. |
Thomas Schaber
Universität Stuttgart an Forschung für Jäger 90 und SDI beteiligt
Seit geraumer Zeit sorgt die Universität Stuttgart für negative Schlagzeilen, da bekannt wurde, daß dort militärische Forschung für den Jäger 90 und durch SDI-Gelder finanzierte Grundlagenforschung betrieben wird. Diese Informationen führten Anfang Juni zu einem Eilantrag der SPD und der GRÜNEN an den Stuttgarter Landtag, in dem von der Landesregierung Auskunft über das finanzielle Volumen der Militärforschung und über die Auftraggeber der Forschungsarbeiten gefordert wird und in dem zudem ein Verbot von militärischer Forschung an den Hochschulen des Landes gefordert wird.
| Rüstungsforsch./-technik |
Rainer Rilling
Eine „… umfassende, ungemein erfreuliche Erfolgsstory″
Rüstungsforschung gehört zu den am besten geschützten Sektoren der Rüstungs- und Forschungspolitik – dies bestätigt die Vorlage des Haushaltsentwurfs 1991 der Bundesregierung. Auffällig ist, wie spurlos die dramatische Veränderung der sicherheitspolitischen Gesamtlage an der militärischen Wissenschaftspolitik der Bundesregierung vorbeigeht. Entwicklungsvorhaben, so das BMVg erst vor wenigen Tagen, „stehen in den laufenden Abrüstungsverhandlungen nicht zur Disposition.″ 2 Eher halbherzige und längst überfällige Korrekturen in der Informationspolitik des BMVg bzw. BMFT sind die einzigen sichtbaren Indikatoren der sich entwickelnden Krise der rüstungstechnologische Dynamik. Die informationspolitische Frontbegradigung leisten der Faktenbericht 1990 zum Bundesbericht Forschung 1988 des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (April 1990) und vor allem die bemerkenswerte Antwort des BMVg auf eine äußerst verdienstvolle Kleine Anfrage der Abgeordneten Edelgard Bulmahn (SPD) et.al. über die „Entwicklung der Ausgaben für militärische Forschung sowie für Friedens- und Konversionsforschung″ (Juni 1990).
| Rüstungsforsch./-technik |
Karl Brose
Friedensdiskurs – Friedensethik: »Wahrheitstheorien« von Jürgen Habermas in pädagogischer Sicht
Die Wandlungen des Friedensbegriffs in den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen sind rasant. Das gilt auch für deren pädagogische Implikationen. Den Veränderungen in der großen Welt müßte eine Wandlung im Mikrokosmos der Erziehung entsprechen. Bleiben hier Konflikte ungelöst, so können sie zur Gewalt im späteren Leben führen, zu Aggressionen zwischen Völkern und Staaten. Die Friedenserziehung versucht besonders junge Menschen auf die konfliktfreie und dissenslösende Gestaltung des künftigen Lebens vorzubereiten. Aus der zermürbenden Analyse dieser Konfliktbewältigungen sucht die Friedenserziehung freilich oft vorzeitig zu entfliehen. Sie geht dann zu Werten und Wahrheiten über, die sich über die Widersprüche und Problematik der Zeit hinwegsetzen. Unter solchen Voraussetzungen sollte man auch die Wahrheitstheorien von Jürgen Habermas1 lesen. Bieten sie Fixpunkte im derzeitigen Ablauf der politischen Ereignisse? Befreien sie von traditionellen und moralistischen Friedenskategorien? Erweitern sie den Blick auf politische Veränderung und philosophische Aufklärung, wie man sie Vertretern der Kritischen Theorie nachsagt?2
| Ethik/Philosophie |