Paul Schäfer
Editorial
Die aus der DDR stammende Schriftstellerin Monika Maron hat ihr deutsches Herz bei der ersten Begegnung mit dem »alten Vater Rhein« entdeckt. Die Menschen brauchen Mythen. Den deutschen Rhein, die Bayreuther Festspiele und Schalke 04. Zugegeben auch mich erfassen Heimatgefühle am Rhein. Ich bin ihn noch durchschwommen – ohne Froschanzug. Die Elbe bei Dresden finde ich schön. Wie die Donau bei Budapest. Im übrigen braucht`s internationale Anstrengungen, um diese Gewässer zu reinigen.
| Ost-West-Konflikt |
Till Bastian
November 1989:
Deutsche Nationalstaatsphantasien und der rauhe Wind der Wirklichkeit…
Deutschland ist im November 1989 plötzlich in aller Munde – aber wo liegt es, wer weiß das Land zu finden, wer seine Zukunft zu umreißen? Hat dieses Phantom – für die einen ein reaktionäres Konstrukt, für die anderen ein patriotisches Wunschbild – wirklich ein Bleiberecht in der nahen Zukunft, gar noch als vereinte, als wiedervereinte Heimstatt aller Deutschen in Ost und West? Triumphiert das Zusammengehörigkeitsgefühl einer zu Unrecht totgesagten Nation am Ende doch über einen von den Siegermächten aufgezwungenen Staatenpluralismus, der an die Verhältnisse vor der Reichsgründung 1871 anknüpfen sollte? Sind durch die Bundestagsabgeordneten, die gemeinsam „Einigkeit und Recht und Freiheit″ singen, nicht alle die widerlegt und in die Schranken verwiesen, die sich mit deutscher Mehrstaatlichkeit nicht bloß abfinden wollten, sondern an dieser gar noch positive Seiten zu entdecken wähnten? Gemach – der nationale Taumel sich überstürzender Schlagzeilen könnte sich am Ende als rasch verblassendes Feuerwerk erweisen.
| Ost-West-Konflikt |
Gian Giacomo Migone
Der Niedergang des »bipolaren Systems« oder: Ein zweiter Blick auf die Geschichte des Kalten Krieges (Teil I)
Die Geschichtsbücher haben uns gelehrt, die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion seit dem Zweiten Weltkrieg als eine Abfolge von Konflikten zu verstehen.
| Ost-West-Konflikt |
Werner Dosch
Chemische Abrüstung im Zwielicht
Die Schwierigkeit, den Geist zurück in die Flasche zu zwingen:
Die chemischen Waffen müßten längst verschwunden sein! Keiner will sie, immmer mehr haben sie. Es ist nicht einfach, den Geist in die Flasche zurückzuzwingen. Denn anders als bei den atomaren Vernichtungsmitteln sind es nur kleine Sprünge, die von ziviler Chemie zu den Waffen führen. Bereits unbeabsichtigte Entgleisungen von Chemie können verheerend sein. Chemie ist Wandlung. Es gibt meist verschiedene Synthesewege, um eine Substanz A in B zu verwandeln und aus A und B kann X entstehen. Wegen dieser Vielfalt und Mehrdeutigkeit hat man in Genf sinngemäß definiert: Chemische Kampfstoffe sind alle Chemikalien, soweit sie nicht friedliche verwendet werden. Kontrolle von C-Waffen heißt daher unter anderem auch Kontrolle ziviler Chemie, die zu ihrer Herstellung imstande sein könnte.
| Chemiewaffen |
Wolfgang Bartels
Altes und neues Giftgas in der Bundesrepublik
Hinter Stacheldraht und beschützt von bewaffneten Patrouillen lagern im Pfälzer Wald, zwischen Ludwigswinkel und Petersbächel, rund 4000 Tonnen Giftgas-Munition der US-Streitkräfte – so behaupten immer wieder Friedensforscher und Presseberichte aus aller Welt.
| Chemiewaffen |
Karlheinz Hug
Rüstungshaushalt 1990 – Wehrkraftverstärkung durch Informationstechnik
Nach dem Bundeshaushaltsentwurf 1990 sollen die Ausgaben des »Einzelplans 14« (Epl.14), des Etats des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), um 3,3 % auf 54,47 Mrd. DM wachsen.1 Den mit 378 Mio. DM drittgrößten Teil der zusätzlichen Mittel des Epl. 14 für 1990 erhält der Ausgabenbereich Forschung, Entwicklung und Erprobung, also das Kapitel 1420, dessen jahrelang stark angewachsene Ausgaben nun 3,32 Mrd. DM erreichen. Den erneut überproportionalen Steigerungsschub von 13 % begründet des BMVg damit, daß „jetzt die Entwicklung der modernen technischen Ausrüstung für die Bundeswehr der späten 90er Jahre intensiviert werden muß″. Dies trage „der zunehmenden Komplexität technischer Entwicklungen und weit vorausschauender Planungsalternativen Rechnung″.2
| Rüstung/R.-industrie | Rüstungsforsch./-technik |
Ulrich Albrecht
Artefakte des Fanatismus
Technik und nationalsozialistische Ideologie in der Endphase des Dritten Reiches
Ziel dieses Beitrages ist es, das spezifisch »Nationalsozialistische« in der Technikentwicklung des Dritten Reiches herauszuarbeiten. Um die Stoßrichtung deutlicher zu umreißen: Die mit der Entwicklung von Technik im Zweiten Weltkrieg befaßten deutschen Naturwissenschaftler und Ingenieure sind möglicherweise nicht nur Nazis gewesen, indem sie als Privatpersonen der NS-Partei oder einer ihrer Gliederungen angehörten, oder auch nur aus Überzeugung für die NS-Ideologie eintraten. Die These lautet vielmehr, daß diese Naturwissenschaftler und Ingenieure auf die besonders in der Endphase des Dritten Reiches extremen Technikanforderungen nicht nur mit vehementem Engagement, sondern auch mit Technikbeiträgen antworteten, die ungewöhnlich bleiben, die sich von Rüstungstechnik, wie sie auch anderswo forciert wurde, erheblich unterscheiden. Diese im Dritten Reich vorgelegten Technikbeiträge, so die Fortführung der These, stellen Artefakte dar, die nationalsozialistische Auffassungen widerspiegeln. Mit anderen Worten: Die hier zu erörternden Projekte bleiben nicht nur deswegen bemerkenswert, weil sie in einer phänomenalen Anspannung der Kräfte, zumeist unter absurden Arbeitsbedingungen, in unterirdischen Notquartieren unter dem Bombenhagel der Alliierten ausgeführt wurden. Vielmehr lassen sich an der so erzeugten Hochtechnologie Merkmale von Nationalsozialismus studieren.
| Historische Friedensf. | Rechtsextr./Rassismus |
Berthold Meyer
Bundesdeutsche Parteien & Europäische Sicherheit
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger hat am 11.11.1988 in drei Sprachen (deutsch, englisch, französisch) ein Manuskript zum Thema „Sicherheit für Europa und das Atlantische Bündnis″ verteilen lassen, in dem er für die „Politische Union Europas″ auf der Grundlage des EG-Vertragswerks und für die „Europäische Sicherheitsunion″ als „notwendigen Bestandteil der politischen Union″ auf der Grundlage des WEU-Vertrages plädierte, und in dem es auf S. 10 heißt: „Wenn ich bisher von Europa gesprochen habe, habe ich Westeuropa gemeint.″
| NATO |
Susanne Behrenbeck
Heldenkult oder Friedensmahnung?
Kriegerdenkmale nach beiden Weltkriegen
Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt bereits 44 Jahre zurück, und noch immer werden Denkmale zur Erinnerung an seine Toten errichtet. Der andauernde Bau solcher Gedenkzeichen beschränkt sich nicht nur auf Personengruppen, die bisher vernachlässigt wurden oder auf ältere Denkmale, die durch zeitgemäße ersetzt werden sollen, sondern er hat noch tiefer liegende Gründe. Horst Baier nannte diese in seinem Beitrag zum Volkstrauertag 1987 das „Brandmal der Republik″, das weiter schwärt und keine Ruhe läßt: Es sei der Geburtsmakel unseres Staatswesens, daß jede Erinnerung an seinen Ursprung, jedes Jubiläum wie das diesjährige, zugleich Trauer um Tod und Schuld sein muß. Echte Versöhnung, „die immer auch Vergeben und Vergessen einschließt, eine solche Versöhnung der Deutschen mit ihren ehemaligen Gegner ist bis heute … nicht Wirklichkeit geworden. Die Geschichte vergißt nur, wenn die Wunden ihrer Taten und Untaten geschlossen sind.″ 1 Dies sei aber weder bei uns noch bei den Opfern und früheren Gegner der Fall.
| Historische Friedensf. |
Reiner Steinweg
Über die politische Bedeutung privater Haltungen:
Garcia Marquez' Bestseller ″Die Liebe in den Zeiten der Cholera″ als Hoffnungszeichen
So manches literarisches Werk aus der Zeit um die Jahrhundertwende und vor allem aus dem ersten Jahrzehnt danach enthält so deutliche Hinweise auf die Gefahr eines Weltkriegs, daß man sich nachträglich darüber wundert, warum die Zeitgenossen diesen impliziten Warnungen nicht Gehör geschenkt haben. Literatur kann, oft mehr und genauer als die Soziologie und die Politikwissenschaft, ein zeitkritischer Seismograph sein, der frühzeitig bevorstehende Beben und Erschütterungen oder sich entwickelnde politische Einstellungen, Strömungen und Tendenzen anzeigt, die dann zu politischen Umschwüngen, Krisen oder Kriegen führen.
| keine Kategorie zugeordnet |