Editorial
Wir müssen das Sterben der Arten aufhalten und die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme langfristig sichern. Während die Naturschutzpolitik auf UN- und EU-Ebene Fortschritte macht, versagt die Agrarpolitik.
Text: Leif Miller
Die Vielfalt der Ökosysteme, der Tier-, Pflanzen- und Pilzarten und die genetische Vielfalt innerhalb einzelner Arten machen unseren Planeten einzigartig. Die aktuelle Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN weist 23.928 Tier- und Pflanzenarten als gefährdet aus. In Deutschland sind rund 30 Prozent der erfassten Tier- und Pflanzenarten in ihrem Bestand gefährdet. Reptilien und Insekten sind davon am stärksten betroffen. Doch auch heimische Brutvögel zählen zu den Verlierern – drei von vier Offenlandarten haben große Probleme.
Eine wesentliche Ursache für den alarmierenden Verlust von biologischer Vielfalt ist die intensive Landwirtschaft, gerade in Europa. Vielerorts wird jeder Quadratmeter genutzt, es gibt kaum noch Platz für Wildkräuter oder Hecken. Der massive Pestizideinsatz sorgt dafür, dass die Insektenmenge rapide abnimmt, Vögeln fehlt die Nahrung. Die intensive Tierhaltung belastet Böden und Grundwasser.
Wir müssen das Artensterben stoppen und die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme langfristig sichern, auch für die Nahrungsmittelproduktion. Das geht nur mit einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Landwirtschaft. Ein entscheidender Schritt ist die Neuausrichtung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. 40 Prozent des EU-Haushalts und damit der Steuermittel fließen in die Landwirtschaft, das sind etwa 60 Milliarden Euro pro Jahr. Gefördert wird nach dem Gießkannenprinzip – pauschal nach Fläche, ohne konkrete Gegenleistung. In Deutschland sind das pro Hektar rund 300 Euro jährlich.
Die Agrarpolitik versagt nicht nur im Umweltschutz. Wo bleiben angesichts des enormen Einsatzes von Steuermitteln die Erfolge beim Aufhalten des Höfesterbens, im Tierschutz und bei der Produktion gesunder Lebensmittel?
Jetzt ist die Politik am Zug
Eine vom Naturschutzbund NABU in Auftrag gegebene Studie?zeigt anhand eines konkreten Modells, wie die Agrarsubventionen in Zukunft so verteilt werden können, dass Landwirte und Umwelt gleichermaßen profitieren: Statt pauschaler Förderung gibt es Prämien für nachhaltiges Wirtschaften und Naturschutzleistungen. Bei gleich bleibender Fördersumme könnten somit drei Viertel der deutschen Agrarfläche besonders naturverträglich bewirtschaftet werden. Jetzt ist die Politik am Zug.
Ein wichtiges Signal für den globalen Biodiversitätsschutz ging im Dezember von der Weltnaturschutzkonferenz in Cancún aus. Die 196 UN-Staaten verpflichteten sich in Mexiko, ihre Agrarpolitik in Einklang mit den Naturschutzzielen zu bringen. Die EU und Deutschland erhalten damit eine klare Vorgabe für mehr Naturschutz in der Landwirtschaft. Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, gründeten in Cancún eine "Koalition für Bestäuber". Sie wollen künftig Bienen und andere Insekten besser schützen und nach Alternativen zu Pestiziden suchen.
Geradezu historisch war die Entscheidung der EU-Kommission zur Beibehaltung der europäischen Naturschutzrichtlinien. Natura 2000, das weltgrößte Netzwerk an Schutzgebieten, bleibt unangetastet, der Wolf und viele andere Arten stehen weiter unter strengem Schutz. Über eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger hatten sich bei dieser bislang größten EU-Bürgerbefragung aller Zeiten für die Beibehaltung der Naturschutzgesetze ausgesprochen und unterstützten die Umweltverbände. Die EU hat jetzt einen Aktionsplan zur besseren Umsetzung der Richtlinien angekündigt. Die Naturschutzverbände wollen sich hier aktiv einbringen.
Der Biologe Leif Miller ist Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland (NABU)