Editorial
Seit Monaten wiederholen sich die Nachrichten mit den immer gleichen Bildern von gekenterten, völlig mit Flüchtlingen überfüllten Booten im Mittelmeer. Viele werden zwar von den europäischen Küstenwachen gerettet, aber Tausende sterben bei dem Versuch, vor Krieg, Entrechtung und Elend nach Europa zu entkommen. Jedes Jahr.
Begleitet werden diese erschütternden und beschämenden Nachrichten von öffentlichen Debatten über die Migrations- und Flüchtlingspolitik in der BRD und der EU.
Viele Debattenbeiträge erinnern dabei in Stil oder Inhalt an die unsägliche rassistische Hetzkampagne Anfang der 90er Jahre, die dann zur faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl führte und in den Pogromen von Rostock und den Morden von Solingen ihre blutigen Höhepunkte fand.
Die Zahl der Angriffe auf Asylunterkünfte ist im letzten Jahr dramatisch gestiegen, rassistisch motivierte Bürgerinitiativen finden massiven Zulauf und möglicherweise etabliert sich sogar eine parlamentarisch erfolgreiche rechtspopulististische Partei. Doch anders als vor zwanzig Jahren gibt es diesmal auch ernsthafte Gegenwehr. An vielen Orten bilden sich aktive Unterstützungsgruppen für Flüchtlinge, PEGIDA-Aktionen bleiben außerhalb Dresdens weitgehend erfolglos. Und im politischen und medialen Mainstream kommen sehr kontroverse Statements zum Ausdruck. Heute dominiert zumindest die Erkenntnis, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Damit verbunden wird oft die ökonomische Argumentation, dass - auch angesichts des demographischen Wandels - die Zukunft des Standorts Deutschland weitere Zuwanderung braucht, freilich soll die dann gemäß der "deutschen Interessen" geregelt sein und bestimmten Kriterien unterliegen.
Wir widmen uns in diesem Heft schwerpunktmäßig der Thematik von Rassismus, Flucht und Migration und wollen spezielle Aspekte der jüngsten Entwicklungen nachzeichnen, sowohl mit Blick auf die Lage von Flüchtlingen und Migrant_innen als auch auf die Hintergründe der massiven rassistischen Mobilisierungen.
Für die Mitarbeit an diesem Themenschwerpunkt danken wir allen Autor_innen und insbesondere Emilija Mitrovic.
Die Analyse und Auseinandersetzung mit den rassistischen Mobilisierungen vollzieht sich aber nicht nur in Forum Wissenschaft: In Erinnerung an seinen verdienstvollen Mitbegründer Reinhard Kühnl organisiert der BdWi ein Symposium zur Aktualität der Faschismustheorie am 10. Juli in Marburg, an dem auch Autor_innen des vorliegenden Heftes teilnehmen werden. Alle Interessierten laden wir herzlich ein.
Die nächste Ausgabe von Forum Wissenschaft erscheint im September. Unser Schwerpunkthema dreht sich dann um den Themenkomplex "Prekarisierung in Bildung und Wissenschaft". Artikelvorschläge und -angebote nehmen wir gern entgegen. Redaktionsschluss ist der 5. August.