Editorial
Bildung und Wissenschaft finden nicht im luftleeren Raum statt. Auch wenn virtuelle Räume im Bildungs- und Hochschulbereich rasant an Bedeutung gewinnen (siehe Forum Wissenschaft 4/2014), bleiben der Erhalt und die Erweiterung materiell-technischer Infrastruktur aus Stein, Beton, Glas oder Stahl bis auf Weiteres unabdingbar.
Der Zustand der baulichen Anlagen im bundesdeutschen Hochschulwesen ist ausgesprochen widersprüchlich: einerseits sind die bestehenden Räumlichkeiten überfüllt, bisweilen verfallen Gebäude, weil Schäden nur noch unzureichend behoben werden. Nutzungseinschränkungen, Wasserschäden und Hörsaalsperrungen sind die Folge. In besonderem Maß betrifft dies die in die Jahre gekommenen Hochschulbauten der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre.
Mitverantwortlich dafür sind fehlende finanzielle Mittel: auf mindestens 3 Mrd. Euro summieren sich die Fehlbeträge für den Sanierungsbedarf an deutschen Hochschulen.
Andererseits entstehen an vielen Hochschulstandorten umfangreiche Neubauten, z.T. werden ganze Campusensembles neu geschaffen wie für die Unis in Marburg und Hamburg oder die Goethe-Universität Frankfurt. Mitunter werden sogar spektakuläre (und extrem teure) architektonische Inszenierungen vorgenommen, etwa das von Daniel Libeskind entworfene Zentralgebäude der Leuphana Lüneburg.
Die Entwicklungslinien der Hochschularchitektur sind Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes, korrespondieren also auch mit den herrschenden Bildungsidealen und dokumentieren den gesellschaftlichen Stellenwert des Bildungswesens.
Aktuell ist durchaus ein Spannungsverhältnis sichtbar zwischen dem architektonischen Anspruch auf Demokratisierung und der Realität der unternehmensorientierten Hochschule. Das Verhältnis von Hochschulbau und Gesellschaft ist bestimmt von Wechselwirkungen. So ist zu fragen, wie die akademischen Bauwerke etwa die jeweilige Stadtentwicklung beeinflussen und inwieweit sie beispielsweise Gentrifizierungsprozesse fördern.
Die aktuellen Debatten um Hochschulbauprojekte sind aber oft auch Diskussionen über den angemessenen Umgang mit Geschichte. Dies berührt insbesondere Fragen, unter welchen Bedingungen sich Nazibauten universitär nachnutzen lassen, betrifft aber auch den Umgang mit dem Erbe des sozialistischen Hochschulbaus der DDR.
Im Schwerpunkt dieser Ausgabe von Forum Wissenschaft beleuchten wir vielfältige Facetten und Fragestellungen zu politischen, soziologischen, kulturellen und historischen Aspekten der Hochschularchitektur und schauen dabei auch über den deutschen Tellerrand hinaus.
Für die Mitarbeit an diesem Themenschwerpunkt danken wir allen Autor_innen.
Die nächste Ausgabe von Forum Wissenschaft erscheint im Juni. Unser Schwerpunkthema dreht sich dann um den Themenkomplex Rassismus und Migration. Artikelvorschläge und -angebote nehmen wir gern entgegen. Redaktionsschluss ist der 5. Mai.