Zusammenfassung:
Das vorliegende Papier unterscheidet zwischen Anker- und Schwellenländern. Ankerländer werden Länder genannt, denen im jeweiligen regionalen Kontext eine herausragende ökonomische und politische Bedeutung zukommt. Diese kann positiv im Sinne einer regionalen Lokomotivfunktion oder negativ im Sinne von länderübergreifender Stagnation oder Krisenanfälligkeit sein. Sie erwächst aus wirtschaftlichen Verflechtungen mit anderen Ländern und aus ihrer besonderen Bedeutung für regionale Integrationsprozesse sowie teilweise aus weniger tangiblen Leitbildfunktionen. Eine Reihe von Ankerländern greift zunehmend selbstbewusst und aktiv in das internationale wirtschaftliche und politische Geschehen ein, ihnen kommt für die Weiterentwicklung globaler Governance-Strukturen eine wichtige Rolle zu. Es wird empfohlen, die Länder China, Indien, Indonesien, Pakistan, Thailand, Ägypten, Iran, Saudi-Arabien, Nigeria, Südafrika, Argentinien, Brasilien, Mexiko sowie Russland und die Türkei als Ankerländer zu bezeichnen.
Als Schwellenländer werden Länder bezeichnet, die einen überdurchschnittlichen Stand der menschlichen Entwicklung erreicht haben und über die Wettbewerbsvoraussetzungen verfügen, um diesen Entwicklungsstand in Zukunft halten oder weiter ausbauen zu können. In der Regel verfügen sie über gefestigte demokratische Strukturen und offene politische Systeme. Es wird empfohlen, die Länder Chile, Costa Rica, Brasilien, Uruguay, Mexiko und Mauritius sowie – mit gewissen Einschränkungen – Malaysia und Trinidad & Tobago als Schwellenländer zu bezeichnen.
Aufgrund der hohen Priorität, die der Armutsbekämpfung und einer nachhaltigen Entwicklung zukommt, ist es sinnvoll, auch diejenigen Länder zu identifizieren, die für die globale Armutsminderung und die globale Umweltpolitik von besonderer Bedeutung sind. Dabei handelt es sich überwiegend um Teilmengen der Ankerländer, ergänzt um eine Reihe von Ländern mit spezifischer Bedeutung für Millennium Development Goal 1 (MDG 1) (Äthiopien, Bangladesch) oder MDG 7 (DR Kongo, Sudan, Peru).
Aus vier Gründen ist es sinnvoll, für Anker- und Schwellenländer spezifische Kooperationskonzepte zu entwickeln, die sich von der Entwicklungszusammenarbeit mit kleineren und ärmeren Entwicklungsländern in wichtigen Punkten unterscheiden: — Deutschland verfolgt im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik zunehmend anspruchsvollere Gestaltungsziele (globale Strukturpolitik).
* Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen und Vorgaben für die EZ (Verringerung der Zahl der Kooperationsländer, Schwerpunktbildung).
* Deutschland hat sich wesentliche Ziele des UN-Millenniumsgipfels in einem ressortübergreifenden Beschluss (Aktionsprogramm 2015) zu Eigen gemacht.
* Es bilden sich neue Akteurskonstellationen heraus. Viele früher binnenorientierte öffentliche und private Akteure agieren verstärkt in einem internationalen Kontext.
Deutschland nimmt unter den bilateralen Gebern in der Zusammenarbeit mit vielen Ankerländern eine wichtige Position ein. Dieser Umstand ist ein für die zukünftige Kooperation mit diesen Ländern wichtiger Ausgangspunkt. Um ein attraktiver Partner der Ankerländer zu bleiben und signifikante Wirkungen zu erzielen, sollte sich die zukünftige Zusammenarbeit besonders an den Angebotsstärken Deutschlands orientieren. Die Abstimmung mit Akteuren aus der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit (WTZ) und der Privatwirtschaft (PPP) kann zur Profilierung eines deutschen Kooperationsangebots beitragen.
In Bezug auf die Ankerländer mit besonderer Bedeutung für MDG 1 (China, Indien) kann kaum davon ausgegangen werden, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit direkt auf das Tempo der Armutsminderung einwirken kann. Dieses hängt vor allem von den in den Ländern erzielten Wachstumsraten ab. Deutschland kann hier Kooperation anbieten, um das wirtschaftliche Wachstum zu flankieren und dessen Breitenwirksamkeit erhöhen. Ankerländer mit hoher Bedeutung für MDG 7 verfügen meist über ein international anschlussfähiges wissenschaftlich-technologisches System. Es bietet sich an, spezielle Kooperationsangebote in Bereichen wie Umwelttechnik und erneuerbare Energien zu machen. In fast allen MDG-7-Fokusländern spielt der Natur- und Ressourcenschutz eine wichtige Rolle und sollte im Spektrum der Kooperations-Angebote berücksichtigt werden Bislang nicht hinreichend diskutiert wurde die Frage, wie die Zusammenarbeit mit Ankerländern aus-gestaltet werden sollte, denen aus außen-, sicherheits- und friedenspolitischen Überlegungen eine besondere Bedeutung zukommt. Hier besteht weiterer Forschungs- und Beratungsbedarf.
Insbesondere in der Zusammenarbeit mit fortgeschrittenen Ankerländern scheint eine kritische Überprüfung der im EZ-System vorgehaltenen, aktualisierten und neu rekrutierten Kompetenzen erforderlich.
Um gegenüber den oft hoch qualifizierten Partnern bestehen zu können, muss ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz vorgehalten werden oder kurzfristig mobilisiert werden können.
Angesichts der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der meisten Ankerländer scheint finanzielle Zusammenarbeit mit einem hohen Zuschussanteil in der Regel nicht mehr gerechtfertigt. Allerdings stehen neuartige Finanzierungsinstrumente zur Verfügung, bei denen öffentliche Mittel nur begrenzt eingesetzt werden. Sie sollten dann zum Zuge kommen, wenn sie die Attraktivität des deutschen Angebots deutlich steigern und die Signifikanz des deutschen Beitrags erhöhen.
Die EZ mit kleineren Schwellenländern ist kaum noch mit dem Ziel zu begründen, deren interne Entwicklungsprobleme zu überwinden. Wo immer möglich sollten andere Formen der Partnerschaft, beispielsweise Hochschulkooperationen oder gemeinsame Vorhaben im Rahmen der Umweltforschung, an ihre Stelle treten. Dies wird von den Schwellenländern selbst zunehmend gewünscht.
Gleichzeitig sollte geprüft werden, auf welche Weise die in den Schwellenländern vorhandenen Kompetenzen und gewachsene Beziehungen der EZ zu Akteuren in diesen Ländern zur Beschleunigung von Entwicklungsprozessen in ärmeren Ländern der jeweiligen Region genutzt werden können.