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BNELIT - Datenbank zu Bildung für nachhaltige Entwicklung: wissenschaftliche Literatur und Materialien
Bildung für nachhaltige Entwicklung: wiss. Literatur und Materialien (BNELIT)
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1. Aufsatz in Sammelwerk (SW)
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Verfasser/-in:
Hauptsachtitel:
Allgemeinbildung als Aufgabe der Schule und als Maßstab für Fachunterricht.
In Herausgeberwerk (Quelle):
SW Herausgeber(in):
SW Hauptsachtitel:
Allgemeinbildung und Fachunterricht.
Erscheinungsort:
Hamburg
Erscheinungsjahr:
Seite (von-bis):
7-17
Kurzinfo:
Exzerpt:

Eine klassische Antwort auf Fragen des Sinnes von bestimmten Unterrichtsinhalten ist bildungstheoretischer Natur: Heranwachsende bedürfen der systematischen Auseinandersetzung mit und Aneignung von Welt, um sich selbst und ihre mögliche Rolle in der Welt zu finden. Erst im Prozeß der Bildung wird der Mensch zum Menschen. Und prinzipiell bietet schulischer Fachunterricht einen geeigneten Rahmen für diese notwendige Auseinandersetzung und Aneignung. Denn die Schulfächer repräsentieren die für unsere Kultur und Gesellschaft charakteristischen Zugänge zu der von uns zu erkennenden Welt.
Wie läßt sich nun aber feststellen, ob vom Fachunterricht eine "bildende" oder "allgemeinbildende" Wirkung ausgeht? Und noch grundsätzlicher: Sind Bildung und Allgemeinbildung heutzutage überhaupt noch tragfähige Leitbegriffe, um über Ziele und Wege schulischen Lernens nachzudenken? Meine These ist: Die Idee der Allgemeinbildung kann, wenn sie hinreichend konkret, gegenwartsbezogen und schulnah ausgelegt wird, als Orientierungsrahmen und "pädagogischer Maßstab" dienen, um Lehrpläne und schulischen Fachunterricht kritisch zu bewerten. Zudem lassen sich aus einem geeigneten Allgemeinbildungskonzept nicht nur kritische Anstöße, sondern - im Zusammenspiel mit fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Überlegungen - auch reformerische Impulse gewinnen.
Was kann Allgemeinbildung heute noch bedeuten?
Bildung läßt sich weder auf Wissen reduzieren, noch läßt sie sich von außen erzwingen. Sie setzt die Aktivität des "Sich-Bildens" voraus. Die Schule kann dafür den ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen lediglich günstige Rahmenbedingungen schaffen. Gesellschaftlich-kulturelle Notwendigkeiten und das Recht des einzelnen auf seine Selbstverwirklichung sind dabei miteinander auszubalancieren. ... Ich gehe davon aus, daß die allgemeinbildenden Schulen in unserer Gesellschaft vornehmlich folgende unterscheidbaren - wenn auch nicht überschneidungsfreien - Aufgaben zu erfüllen haben:
· Lebensvorbereitung;
· Stiftung kultureller Kohärenz;
· Weltorientierung;
· Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch;
· Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft;
· Einübung in Verständigung und Kooperation;
· Stärkung des Schüler-Ichs.
Die Frage, der sich jedes Schulfach stellen muß, das an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet wird - nämlich die Frage, was es zur Allgemeinbildung beiträgt -, läßt sich durch den Bezug auf den vorgestellten Aufgabenkatalog nun sehr viel differenzierter formulieren. Selbstverständlich kann nicht verlangt werden, daß jedes Schulfach die genannten Teilaufgaben ausnahmslos und gleichgewichtig erfüllt. Aber die spezifische Leistung eines jeden Fachs müßte sich anhand dieses Katalogs verorten lassen. Mehr noch: Mit Hilfe des vorgestellten Allgemeinbildungskonzepts sollte sich fürjedes Fach aufzeigen lassen, wo es in Gefahr ist, den Allgemeinbildungsauftrag zu verfehlen, und durch welche Innovationen curricularer, didaktischer und methodischer Art sein Beitrag zur Allgemeinbildung gefördert werden könnte.
Lebensvorbereitung
Es gibt eine Reihe lebensnützlicher Qualifikationen, die für eine vernünftige Bewältigung alltäglicher Situationen des Berufs- und Privatlebens in unserer Gesellschaft sehr hilfreich oder gar unverzichtbar sind. Fazit: Lebensvorbereitung - pragmatisch gedacht - ist ein wichtiger Teilaspekt schulischer Allgemeinbildung. Legen wir das hier zugrunde gelegte Allgemeinbildungskonzept, wie anfangs erläutert, als Maßstab an, so muß im Hinblick auf jedes Schulfach gefragt werden:
· Inwieweit fallen in seinen Bereich Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im pragmatischen Sinne zur Bewältigung alltäglicher Lebenssituationen beitragen und die ohne Schule nicht oder nicht in hinreichendem Maße gelernt würden?
· Inwieweit wird das Fach so, wie es gewöhnlich unterrichtet wird, diesen Anforderungen gerecht?
· Und - falls Defizite nachweisbar sind - durch welche curricularen, didaktischen oder methodischen Innovationen könnten Verbesserungen erzielt werden?
Stiftung kultureller Kohärenz
Eine wichtige Aufgabe allgemeinbildender Schulen ist es, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Heranwachsenden eine reflektierte kulturelle Identität gewinnen:
· daß sie sich als Teil der Kultur verstehen und erleben, in der sie heranwachsen - mit ihren Licht- und Schattenseiten;
· daß sie Verbindendes innerhalb der eigenen Kultur erkennen, jenseits ihrer Aufsplitterung in disparate Teil- und Subkulturen;
· daß sie das Andersartige anderer Kulturen als gleichberechtigte Daseinsform anerkennen.
Über die Hilfen zur Enkulturation und über das Bewußtmachen der eigenen kulturellen Wurzeln hinaus sollte die Schule sich insbesondere bemühen, dem Auseinanderfallen der Gesellschaft in nebeneinander existierende, aber einander nicht verstehende Subkulturen vorzubeugen. Die angestrebte "kulturelle Kohärenz" bezieht sich also nicht nur auf den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (dann hätte ich den Terminus "kulturelle Kontinuität" bevorzugt), sondern auch auf das Sichtbarmachen "synchroner" Verflechtungen innerhalb der Gesamtkultur, auf das Bauen von Brücken zwischen einanderpartiell fremden Teilkulturen. Solche Teilkulturen können - für die Schule besonders relevant - durchaus auch Fachkulturen sein! Im Blick auf den Beitrag zur Allgemeinbildung ist unter dem soeben erläuterten Aspekt für jedes Schulfach zu fragen:
· Welche für unseren Kulturkreis, unser kulturelles und gesellschaftliches Selbstverständnis zentralen kulturellen Errungenschaften werden in dem betreffenden Fach tradiert?
· Welche Bezüge zwischen der für das betreffende Fach (bzw. die korrespondierenden Wissenschaften) charakteristischen Fachkultur und der Gesamtkultur (bzw. anderen Subkulturen) gibt es? Werden sie im üblichen Fachunterricht hinreichend transparent?
Weltorientierung
Deshalb ist mit Blick auf jedes Schulfach zu fragen:
· Was von dem unüberschaubaren "Gebirge" dessen, was man innerhalb dieses Faches prinzipiell wissen könnte, ist so fundamental, so erhellend, so beispielhaft, daß es dem einzelnen helfen kann, eine Gesamtorientierung zu finden, ein eigenes tragfähiges Weltbild aufzubauen?
· Wie sind die Wissensinhalte, die die Lernenden sich in diesem Fach aneignen sollten, untereinander und mit den Inhalten anderer Fächer vernetzt?
· Wo bieten sich Möglichkeiten, die Grenzen des Fachs zu überschreiten und "Schlüsselprobleme" zu thematisieren?
· Wird das Exemplarische des Unterrichtsstoffs und seine Vernetzung mit anderen Elementen des Weltwissens im herkömmlichen Fachunterricht hinreichend deutlich? Wenn nicht, wie könnte Abhilfe geschaffen werden?
Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch
Reichweite des Verstandes begrenzt ist. Zudem ist kritisches Denken immer auch sozial vermittelt: Wir lernen im Austausch mit und durch die Rückmeldung von anderen, unser eigenes Denkpotential zu entwickeln und auszuschöpfen. Jedes Schulfach hat sich somit den Fragen zu stellen:
· Bieten die üblichen Fachinhalte hinreichend Gelegenheit zum kritischen Vernunftgebrauch?
· Bietet die übliche Praxis des Fachunterrichts ein hinreichend anregendes geistiges Klima, in dem sich das kritische Denken der Schülerinnen und Schüler kultivieren läßt?
· Welche Merkmale des traditionellen Fachunterrichts stehen der Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch möglicherweise im Wege, und wie könnte dem begegnet werden?
Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft
An jedes Schulfach ist die Frage zu stellen:
· Bietet der betreffende Fachunterricht, die Art, wie mit den Sachthemen und miteinander umgegangen wird, einen Rahmen für die Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft?
· Gibt es Eigentümlichkeiten des Faches bzw. der fachspezifischen Sozialisation, die diesem Ziel tendenziell im Wege stehen?
Einübung in Verständigung und Kooperation
Für die Schulfächer ergeben sich aus dem Ernstnehmen dieses Aspekts von Allgemeinbildung Fragen, die sich vornehmlich auf die Methodik und die "Unterrichtskultur" richten:
· Bietet der übliche Fachunterricht hinreichend Gelegenheiten zur Einübung in Verständigung und Kooperation?
· Gibt es fachspezifische Besonderheiten, die die Einübung in Verständigung und Kooperation eher behindern?
Stärkung des Schüler-Ichs
Die angezielte Ich-Stärkung ist also nicht zu verwechseln mit Ermutigung zur Ichbezogenheit, zu narzistischer Selbstbespiegelung, zu sozial rücksichtsloser (und damit falsch verstandener) Selbstverwirklichung. Die Schule sollte Gelegenheit geben, neben Intellektualität und schulischen Leistungen im engeren Sinne auch Phantasie, Kreativität, eigene Sinnlichkeit und Leiblichkeit einzubringen, damit unterschiedliche Facetten der eigenen Person im sozialen Miteinander erfahren werden können. Die Schulfächer haben sich also den Fragen zu stellen:
· Geben die herkömmlichen Inhalte und Unterrichtsmethoden genügend Raum für die Förderung des einzelnen im beschriebenen Sinne?
· Welche Elemente der üblichen Fachkultur beeinträchtigen die angestrebte Stärkung des Schüler-Ichs möglicherweise?
Anmerkung:
Einige Fragen, die bei dem gewählten Vorgehen - der Beschränkung auf "etablierte" Fächer - offensichtlich ausgespart werden, sollen hier zumindest erwähnt werden: Wird eigentlich der gegenwärtige Fächerkanon als solcher der Allgemeinbildungsidee gerecht? Warum sind (beispielsweise) Mathematik, Musik, Biologie für alle Heranwachsenden verbindlich, nicht aber Rechtskunde, Gesundheitserziehung und Wirtschaftslehre? Erfordern Computer und neue Kommunikationstechnologien eigene Fächer? Oder ist die Beschäftigung mit entsprechenden Themen - wenn überhaupt in der allgemeinbildenden Schule erforderlich - im Rahmen bestehender Fächer sinnvoller?